Der Atem ist uns geschenkt. Atmen passiert, und im Grunde brauchen wir uns um das große Mysterium unserer Lebensfähigkeit, die uns der Atem schenkt, nicht zu kümmern. Wir dürfen den Atem einfach fließen lassen, so wie er kommt. Regelmäßig, Tag und Nacht. Je nachdem, was wir machen, mal stärker und mal schwächer. Im Fluss sein, leben, das ist atmen. Der Kosmos atmet mich. Was für eine Dimension! Verbunden sein mit Allem, mit dem Universum. Ein Teil des Ganzen sein, durch den Atem. Unser Dasein auf der Erde, erlebbar und real, im Einatmen und im Ausatmen. Entspannt und voller Vertrauen sein.
Werde dir dieser Abläufe bewusst, und dann lass den Atem wieder zu, lockere dein Zwerchfell, gehe in die Präsenz
Und wenn ich nicht entspannt bin? Wenn ich mich anspanne und nicht loslassen kann, wenn Stress dominiert? Wie ist es dann mit meinem Atem? Atme ich dann noch fließend und vom Kosmos getragen?
Der Kosmos trägt mich immer, jedoch mein Atemfluss kann ins Stocken geraten. Ich halte den Atem fest. Ich finde das eine ungeheuerlich interessante Angelegenheit. Mein Stress wird, vereinfacht gesagt, durch meinen Willen hervorgerufen. Mein Wille kann den Kosmos nicht in die Knie zwingen, jedoch den sanften, regelmäßigen Hin- und Rückfluss blockieren! Das ist gewaltig.
Ich halte also den Atem fest, unmerklich, denn meine Aufmerksamkeit ist auf mein Problem gerichtet und beißt sich dort fest. Es kommt zu Symptomen: Mein Stressempfinden wird stärker, eventuell habe ich Bauch-symptomatiken wie Magendruck, Sodbrennen, Verstopfung. Ich fühle mich getrieben, werde vielleicht kurzatmig bei Anstrengung, werde schneller müde und die Konzentration lässt nach. Von Außen stürmt dann noch mehr auf mich ein...haben wir diese Erfahrung nicht alle schon gemacht?
Werde dir dieser Abläufe bewusst, und dann lass den Atem wieder zu, lockere dein Zwerchfell, gehe
in die Präsenz. Zum Zwerchfell lockern brauchst du wahrscheinlich die Hilfe eines Osteopathen oder Craniotherapeuten. Alles kann der Körper nicht allein, manchmal braucht er Hilfe von außen.
Werde dir des gegenwärtigen Augenblicks bewusst und halte inne. Die Schnelligkeit ist ein Phänomen unserer Zeit. Wir können uns ihr häufig nicht entziehen. Jetzt und immer wieder kannst du es bewusst tun: entschleunigen, langsam werden. Darin liegt die Chance zu Bewusstsein, Heilung, Atmen.
Erstaunlich, wie kurz diese Qualität oft nur zugelassen zu werden braucht, damit der Körper, die psycho-emotionale Befindlichkeit im Körper, das Ruder herumreißen kann. Du wirst wieder ohne Stocken geatmet. Nimmst du die Freude des Unerklärlichen wahr, dass du eingebettet bist in ein endloses samtenes Feld voller Weisheit, Ur-Ordnung, Schutz? Es fließt wieder in deinem Leben, wenn du frei atmest.
Was passiert, wenn der festgehaltene Atem „einheilt“, und es keine Auflösung der Stauung gibt?
Dann ist es zu einer Traumatisierung gekommen.
Das griechische Wort ‚Trauma‘ heißt ‚Verletzung‘. Eine Verletzung kann seelischer oder körperlicher Art sein. Eine Verletzung kann durch ein persönliches Erlebnis, eine Angstsituation, eine Naturkatastrophe, einen Unfall, eine Trennung erfolgen, um nur einige Ursachen zu nennen. Ein Trauma entsteht dann, wenn die Verletzung in größerem Maße Stress, Entsetzen und Hilflosigkeit auslöst, die nicht mehr abgeschüttelt werden können, sondern im System verbleiben. Das dann auch das Atmen schwer fällt, dieser ins Stocken gerät, kennen wir alle.
Der Traumabegriff hat sich mittlerweile über den ursächlich seelischen Bezug ausgedehnt.
Es wird weiterhin ‚small t trauma‘ und ‚Big T Trauma‘ unterschieden.
small t trauma: viele kleinere, wiederkehrende Ereignisse werden im Laufe der Zeit zu einem großen Berg an Erschütterung, so dass ein Trauma entsteht, z.B. Mobbing, wiederkehrende Übergriffe, wieder-kehrendes Überfordert sein…
Big T Trauma: ein einmaliges, großes Ereignis bewirkt die Traumatisierung, z.B. eine Naturkatastrophe, eine Vergewaltigung…
Irgendwann fängst du auch mit deinem Trauma wieder an, tiefer zu atmen. Stell es dir ähnlich vor wie eine Energiekugel, die von einer Hülle ummantelt ist, und diese Kapsel lagert sich irgendwo in deinem Körper energetisch ab. Dort ist sie passiv vorhanden, im Gewebe abgekapselt, aber mit der vollen Information geladen. Dein Körper hat alles dazu getan, um dich maximal zu schützen und ein Weiterleben zu gewähr-leisten. Kommt es zu einer Re-Traumatisierung, kann der gestaute Traumainhalt schlagartig an die Oberfläche des Bewusstseins kommen. Das jedoch ist eine denkbar ungünstige Situation, da die Gewalt der Emotionen und des Stresses kaum bewältigbar ist. Hier ist dringend therapeutische Begleitung angezeigt. Aber auch, wenn das Trauma abgekapselt bleibt, sendet es seine Energie in dezenterer Weise ins System. Ganz glücklich und zufrieden wirst du dann wahrscheinlich nie ganz sein. Ein Trauma vergiftet in gewisser Weise die Seele, und irgendwann auch den Körper, was sich häufig erst viel später in Symptomen sämtlicher Art zeigen kann. Das müssen nicht immer depressive Verstimmungen sein,
das können auch Schmerzen im Bewegungsapparat sein, Verdauungsbeschwerden, Beziehungsprobleme, Erschöpfungszustände, Wechseljahrsbeschwerden und vieles mehr sein.
Der wohl bekannteste und bedeutenste Experte unserer Zeit für Traumata ist der Amerikaner Dr. Peter
A. Levine. Er ist Biophysiker, Psychologe und körperorientierter Trauma-Therapeut. Er beobachtete Tiere
in freier Wildbahn und hat dort begriffen, wie ein Trauma entsteht. Am Beispiel von Antilopen erklärt er:
Wenn eine Antilope von einem Löwen gejagt wird, ermöglicht es ihr Instinkt, schnellstmöglich die Flucht anzutreten. Sieht sie ab einem Punkt keine Möglichkeit der erfolgreichen Flucht mehr, wählt sie eine weitere archaische Variante, den Totstellreflex. Sie liegt regungslos am Boden. Der Löwe, der ein lebendiges, flüchtendes Tier als Beute bevorzugt, lässt eventuell von der Antilope ab und zieht sich zurück. Ist die Luft rein, steht die Antilope auf, und schüttelt sich ganz kräftig. Das haben wir alle schon in Tier-filmen bei diversen Tieren gesehen. Mit dem Schütteln schmeißt sie die gesamte Stressenergie aus ihrem System heraus. Danach geht es ihr gut und sie schreitet unbeschadet auf ihrem Weg weiter.
Ist die Situation jedoch anders, und der Löwe entfernt sich nur ein wenig von der liegenden Antilope und wartet ab, bis sie wieder aufsteht, jagt sie dann erneut, bevor sie sich schütteln konnte und sie entkommt, wird die Stressenergie im Tier verbleiben. Die Antilope ist von nun an traumatisiert und wird zu einem schwachen Tier, das sicherlich in kürzester Zeit einem erneuten Angriff erliegen wird.
Ein weiteres Beispiel von Peter Levine: In den USA kommt es zu einer Kinderentführung größeren Ausmaßes. Über 10 Kinder werden aus einem Feriencamp entführt und an einem abgelegenen Platz
in einen Wohnwagen eingesperrt. Das Alter der Kinder geht vom Kleinkindalter bis zu Teenagern. Die Kinder werden dort nicht versorgt, erhalten kein Essen, kein Trinken, die Entführer zeigen sich nicht.
Sie werden immer starrer, sitzen regungslos im Wohnwagen. Einer der Teenager jedoch gibt nicht auf.
Er sucht unermüdlich nach Möglichkeiten der Flucht und findet schließlich eine Öffnung, die aufge-brochen werden kann. Er führt die Kinder aus dem Wohnwagen durch die verlassene Gegend in die Zivilisation zurück. Die Kinder werden über 10-15 Jahre beobachtet. Schließlich stellt sich heraus,
dass alle Kinder traumatisiert sind und erhebliche Probleme in ihrem Alltagsleben aufweisen, nur der
Junge nicht, der aktiv war und die Befreiung ermöglichen konnte. Er hat die Stressenergie in Aktion umgesetzt, in Bewegung, sozusagen das Schütteln des Tieres.
Klar ist bei den Beispielen, dass bei Erlebnissen dieser Art auch immer der Atem beteiligt ist.
Die fliehende Antilope wird kräftig und stoßweise atmen, die regungslose Antilope wird die Atemfunktion soweit herunterfahren, dass sie tot wirkt. Nach dem Schütteln wird sie wieder normal atmen. Erfolgt
das Schütteln nicht, wird ihr Atem ins Stocken geraten.
In der craniosakralen Therapie wird dem Trauma auf sanfte und begrenzende Weise begegnet
In den 80er und 90er Jahren ging man therapeutisch in die Katharsis. Die unterdrückten, eingeheilten Stresse und Emotionen sollten durch starke Reize wie Schreitherapie, einen Stock auf ein Kissen schlagen, ausgelebte Aggressionen usw. herausgebracht und reduziert werden. Die Gefahr einer Re-Traumatisierung und einer darauffolgenden Entgleisung der Situation ist gegeben. Zum Glück sind wir heute weiter.
In der craniosakralen Therapie wird dem Trauma auf sanfte und begrenzende Weise begegnet.
Oft ist das zugrunde liegende Traumaereignis nicht bekannt, da es in der Kindheit stattge-funden hat. Ist ein Ereignis in seinem Ausmaß zu bedrohlich für ein Kind oder einen Menschen, findet eine Abspaltung auch im Bewusstsein statt. Es kommt zur Amnesie, also zu einer Erinnerungslücke. Das ist ein starker Schutzmechanismus, der zu begrüßen ist. Ein missbrauchtes Kind beispielsweise würde die Übergriffe ohne Abspaltung und Dissoziation nicht überstehen. Das Nervensystem würde es nicht aushalten
und größerer Schaden würde resultieren.
Unabhängig davon, ob das Ereignis bekannt ist oder nicht, wird in der modernen Psycho- und Körpertherapie eine Re-Traumatisierung durch zu starke Reize vermieden. Lieber wird wiederkehrend
und im für den Körper und das bewusste Erleben verträglichen Maße an das Anliegen herangegangen.
Die Bedeutung von Körpertherapie im Allgemeinen und als Begleitung von psychotherapeutischen Sitzungen wird hier besonders deutlich und kann nicht genug betont werden
In der Cranio entsteht durch die sanfte, umsichtige Begleitung des craniosakralen Therapeuten ein Raum, im den das Gewebe seine Stress- und Traumaenergie entlässt, in dem Maße, wie es das System für gut befindet. Jederzeit wichtig ist, dass der Behandelte stabil bleibt und auch nach der therapeutischen Sitzung seinen Alltag normal weiter bewältigen kann. Zwischen den Sitzungen gibt es wieder Zeit und Raum, wo die eigene Lebensenergie unmerklich nacharbeitet und das System die nächste Etappe
der Erlösung vorbereitet. Bei bekannten Auslösern wird die körpertherapeutische Begleitung bei Bedarf mit einer verbalen, kommunikativen Aufarbeitung unterstützt.
Je mehr du dich spürst und dich liebst, desto mehr kommt dein System auch mit Traumenergie und anderen Störfaktoren zurecht.
Die Bedeutung von Körpertherapie im Allgemeinen und als Begleitung von psychotherapeutischen Sitzungen wird hier besonders deutlich und kann nicht genug betont werden. Der Körper vergisst nichts. Jede einzelne Zelle ist wie ein kleiner Computer und hält die gesamte Information deines Lebens inne, mindestens genauso wie deine Gehirnzellen. Es ist eine Befreiung, Erleichterung und Entgiftung,
die Körperzellen in Schwingung zu bringen, und mittels ihrer Bewegungen Traumaenergie zu entlassen. Geduld und Vertrauen sind der Boden, auf dem dies geschehen kann. Auch das vermittelt die craniosakrale Therapie. Du lernst deinen Körper und Geist besser kennen und bekommst eine innige Beziehung zu dir selbst. Je mehr du dich spürst und dich liebst, desto mehr kommt dein System auch mit Traumenergie und anderen Störfaktoren zurecht.
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