Ich kriege, was ich tragen kann
Das heißt, dass alles an Leidvollem, Unerfreulichen, Krankem, Sorgenvollen, Angstmachenden genau das ist, was ich aushalten und bewältigen kann.
Eine Lebensweisheit, ein spirituelles Verständnis, eine Motivation? Eine Wahrheit?
Ich war bislang davon überzeugt, dass dieser Satz stimmt. Jetzt kommt er bei mir auf den Prüfstand.
Ich höre viele Geschichten, kriege viele Umstände von Menschen, ihren Angehörigen und Bekannten mit. Das geht mit meinem Praxisalltag einher.
Das Jahr 2024 hat es in sich. Bei mir und bei vielen anderen.
Ich frage mich, ob der jeweils betroffene Mensch seine Umstände wirklich tragen kann? Hat er denn
eine Wahl? Welche Wahl hatte ich dieses Jahr, meine Themen, Sorgen und Nöte nicht zu tragen?
Es scheint so, dass wir Dinge tragen müssen, aber würden wir gefragt, würden wir sicher des Öfteren dankend ablehnen. Ich hätte gern das ein oder andere Mal Nein gesagt.
Was bedeutet es, dass ein Mensch etwas tragen kann? Sollte das nicht implizieren, dass es nur
bis zu einer individuellen Grenze geht und nicht darüber hinaus? Sollte man nicht aus dem Prozess
mit Freude, Nachhaltigkeit und Gesundheit herauskommen? Ist das immer so?
Was ist, wenn das zu Tragende soviel Druck erzeugt, dass daraus Krankheit, Existenzverlust, Zerrüttung entsteht? Hat man ‚es‘ dann wirklich getragen oder war es schlichtweg zu viel des Guten und man ist daran zerbrochen, hatte aber keine andere Wahl, als zu überleben und weiter zu machen? Ist das dann alles in allem der göttliche Plan? Ist jegliches Leid wirklich vollumfänglich gut für einen Menschen? Gehören eine eventuell bleibende Überforderung, Krankwerdung, Sinnentfremdung zum Spiel dazu?
Da ich das nicht allumfassend beurteilen kann, denke ich mittlerweile, dass ich Weisheiten und kluge Sprüche nicht mehr floskelhaft anwenden möchte. Wie leicht kommen die Floskeln über die Lippen,
wenn sie für andere bestimmt sind! Da weiß ich schnell, wo der Haken hängt, wo der Ego-Schleier sitzt und finde Volksweisheiten und sonstige Lebensweisheiten wieder mal so zutreffend.
Geht es um mich, will ich es nicht immer hören. Habe ich den Tellerrand noch nicht überschaut, kommt mir eine floskelhafte Spruchweisheit dann schnell lieblos vor, ich fühle mich unverstanden und vorschnell beurteilt. Komme ich von meinem Ego-Trip herunter, kann ich zumindest einen Kern der Wahrheit am Gesagten erkennen. Was meine persönliche Situation anbelangt, ich kann es tatsächlich tragen, was der Geschenkkorb dieses Jahr für mich bereithielt. Allerdings – die Grenze des Ertragbaren ist definitiv in meine gefühlte Nähe gerutscht und sie sollte möglichst nicht weiter strapaziert werden.
Einiges an innerer Substanz hat es mich gekostet und mein Bewusstsein ist gewachsen. Das ist immer
die Belohnung für Mühe und Leid. Das nimmt mir keiner und mein energetischer Lebensradius hat sich wieder mal ausgedehnt. Ist ein bisschen Gras über die Sache gewachsen, werde ich den vollen seelisch-geistigen Benefit davontragen. Und hoffentlich nicht krank geworden sein, sondern wieder ein Stück mehr Gesundheit realisiert haben.
Bei meinen Mitmenschen erlebe ich Umstände, die weit über das Tragbare herausgehen. Ist das nun
mein eigenes Gefühl, dass sich im Sinne einer Übertragung breit macht? Ist es meine Wahrnehmung von diesem Menschen oder gehe ich davon zu sehr von mir selbst aus? Letztlich weiß es nur die betroffene Person selbst, wie es in ihr aussieht.
Dennoch lässt mich das Gefühl nicht los, dass das Tragbare teilweise eben nicht tragbar ist. Wie wird sich der psycho-emotionale Zustand, wie die körperliche Gesundheit eines Menschen entwickeln, wenn die Themen schlicht überbordend sind? Wird der bewusstseinserweiternde Benefit als solcher empfunden werden? Wird man lächeln und liebevoll auf die super schwere Zeit zurückblicken?
Die Erde transformiert sich und wir Menschen uns mit ihr. Das ist eine große Sache, eine heraus-fordernde Zeit mit ungewissem Ausgang.
Ich bin sensibilisiert, Lebensweisheiten im Einzelfall zu überprüfen. Der Zeitgeist hat sich gewandelt,
das Verhalten der Menschen verändert sich, die Welt ist vielfach aus den Fugen gehoben.
Möglicherweise lösen sich auch die uralten geschätzten Weisheiten teils ab und machen Platz für Neues, Dimensionsübergreifendes?
Ich möchte dem mit Achtsamkeit, Langsamkeit und einer Kombination aus bedachtem Hinschauen und unvoreingenommenen Spüren begegnen.
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