Ich sitze auf meiner Bank im Garten und blicke auf den schönen Holunderbaum, der in voller Blüte steht. Es animiert mich, darüber nachzudenken, wie unendlich viele Facetten es gibt, die von den menschlichen Sinnen erfasst werden können. Wieviel Schönheit um uns herum ist, in Millionen und Billionen von Details. Nicht endende Fülle.
Schönheit und eine prall gefüllte Welt gibt es immer. Die Wahrnehmung davon richtet sich jedoch häufig nach meiner Tagesform. Wenn es mir gut geht, ich gerade Erfolg hatte, mich gesund und kraftvoll fühle, ist auch die Welt um mich herum bunt, hell und freundlich. Die gleiche Welt kann Stunden später oder am nächsten Tag bereits düster, grau und bedrückend sein. Irgendetwas hat mich veranlasst, anders zu empfinden. Meine Augen blicken anders in dieselbe Welt.
Etwas regt mich auf und hält mich für eine gewisse Zeit - Minuten, Stunden oder Tage – trübsinnig gefangen. Biochemisch betrachtet gibt es irgendwo eine Störung im Hormonhaushalt. Im hochkomplexen Zusammenspiel der Neurotransmitter läuft etwas nicht rund. Es wird vielfach unterschätzt, wie enorm die körperlichen Abläufe auf die Psyche einwirken. Manchmal ist es der Körper, der Unterstützung braucht. Dies richtig einzuordnen braucht Erfahrung und ein gutes Gespür.
Wo kann ich sonst noch ansetzen?
Die Kunst ist es, im Auge des Sturms zu sein. Im Auge des Sturms ist es am sichersten. Ich liebe diesen Satz, der einen enormen Wahrheitsgehalt hat und mir schon sehr oft den Weg gewiesen hat. Wie aber gelange ich in das Auge des Sturms, dorthin, wo es ruhig und sicher ist?
Die Kunst ist es, zu beobachten. Ich kann das Geschehen betrachten, der Beobachter sein. Es ist eine Entscheidung. Ich beobachte reißende Ströme, Strudel, Wogen und plätschernde Wässer, vielleicht auch Winde unterschiedlicher Qualität und Feuer in allen Formen. Für jeden ist das passende Bild hierzu etwas anders. Muss ich etwas tun? Nicht, wenn es mir gelingt, im Auge des Sturms zu sein. Stelle ich mich der Naturgewalt entgegen, wird sie mich beuteln und hierhin und dorthin schubsen. Dann kann ich nur noch reagieren, nur noch kurzsichtig versuchen, mich zu retten. Da ist selbstverständlich die Angst, überwältigt zu werden. Da ist eventuell eine Angst vor zurückgehaltener Traurigkeit oder davor, etwas Schreckliches aushalten zu müssen und den Dingen nicht gewachsen zu sein.
An dieser Stelle gibt es diverse Wahlmöglichkeiten. Sie reichen von Betäubung, Ignoranz, Gewalt, Aussitzen, Verdrängen bis hin zum Jammern und anderen die Schuld zuweisen. All dies sind im Grunde Aspekte des Verdrängens. Verdrängtes heilt ein, ins Körpergewebe und in die Psyche. Als Kind ist das legitim, wenn nicht sogar die einzige Möglichkeit, ein großes schmerzhaftes Ereignis zu überleben. Als erwachsener Mensch tue ich mir den größten Gefallen, indem ich mich konfrontiere und auseinander-setze.
Wer wenn nicht ich, wer wenn nicht du kann das nun leben, aus/halten und ändern? Es ist meine Verantwortung, es sind meine Themen. Ja, es ist schön, wenn mich dabei Anerkennung, Empathie und durch Präsenz erzeugte liebevolle Rückenstärkung begleiten. Das hätte mir schon als Kind sehr gutgetan. Dann hätte es vielleicht nicht so Vieles zum Verdrängen gegeben. Nun, jetzt bin ich groß und schaue, dass ich das gut hinkriege, auf allen Ebenen.
Meine Haltung der Achtsamkeit, des Beobachtens hat sich zu wiederholen. Mehr ist es im Grunde erst einmal gar nicht. Da es keinen Aus-Schalter gibt und auf Knopfdruck das rationale und vernunftbezogene Erkennen umgesetzt werden kann, ist dies doch besser als gar nichts. Es ist eine Haltung, die ich nicht nur einnehme, sondern zu der ich werde. Ich bin Achtsamkeit, ich bin Gewahrsam.
Zwischendurch wende ich den Blick auch mal woandershin. Vieles steht nämlich nebeneinander. Es gibt immer noch die guten Verläufe, es gibt immer noch die schönen Dinge, es gibt immer noch die Fülle des Daseins. Im Auge des Sturms zu sein bedeutet auch, diese Facetten parallel zu Druck und Leid kontaktieren zu können. Unser Geist ist nicht auf einer Einbahnstraße unterwegs. Unsere Neuro-transmitter sind wundersame Künstler der Vielfalt und Abwechslung. Auch biochemisch ist es möglich, in jeder Situation zusätzlich etwas Gutes zu erkennen, dankbar zu sein, Freude zu empfinden. Das macht mein Leben doch gleich viel bunter, vielschichtiger, weniger eintönig und durchaus bedeutsam.
Die Fülle aushalten. Wer möchte keine Fülle? Wer möchte kein Glück, keine Gesundheit, keinen Urlaub, keine Konsummöglichkeiten? Die vielen schönen kleinen und großen Dinge des Lebens sind verlockend und verständlicherweise begehrt. Dagegen ist auch gar nichts zu sagen. Das entscheide ich für mich, und du für dich, was wichtig ist und was zum Leben gebraucht wird oder auch nicht. Es ist nur leider manchmal so, dass wir angesichts unserer oftmals schwierigen Biografie die Fülle gar nicht aushalten können. Kaum tritt etwas Gutes ins Leben, springt ein Sabotageprogramm aus der Untiefe des Unterbewusstseins. Ich vereitele es mir selbst, aber sicher gibt es jemanden in nächster Nähe, der dafür schuldig gesprochen werden kann?!
Es ist Zeit, wieder zu beobachten. Wieder den inneren Weg ins Auge des Sturms anzutreten.
Irgendwann realisiere ich, dass einige der Sabotageprogramme, einige der Gedankenmanifestationen, die mich getreu des Mottos ‚Mein Leben ist schwer‘ und ‚Ich muss für alles hart arbeiten‘ geknechtet haben, kaum noch oder gar nicht mehr schwingen. Auf dem langen und wundersamen Weg der Selbsterkenntnis ist es langsam aber sicher auch möglich, grundlos glücklich zu sein. Das ist so ähnlich, wie im Auge des Sturms zu sein. Nämlich dort, wo es still ist und wo keine Anhaftung an mein Wollen und Wirken ist, kann ich glücklich sein. Dann schauen meine Augen in eine Welt, die völlig in Ordnung ist, unabhängig davon, wie sie ist. Die innere Zufriedenheit und Heiterkeit lassen die Augen in pure Schönheit blicken. Ich kann die Welt nur so sehen, wie ich bin. Das ist der Grund, warum sich die Wahrheiten der Menschen unter-scheiden. Die Welt bist du.
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